Andacht

Während meines Theologiestudiums durfte ich im ökumenischen Zentrum „Agape“ in den norditalienischen Alpen ein Praktikum absolvieren. Gegründet wurde es Mitte der 40er Jahre, kurz nach dem 2. Weltkrieg, von einem Pastor der protestantischen Waldenserkirche in Italien: Tullio Vinay. Seine Idee war, einen Ort zu schaffen, an dem die Wunden und Trümmer der Vergangenheit bearbeitet werden konnten, an dem Begegnung zwischen denjenigen ermöglicht werden konnte, die noch wenige Monate zuvor durch Konflikt gespalten waren. Vinays Vision war ein Ort, der die Werte der christlichen Agape zum Ausdruck bringen würde, und der das Antlitz Christi sein würde, das in die Felsen der Berge gemeißelt sei.

Seit den 1950er Jahren ist Agape ein Ort fruchtbarer sozialer, politischer und theologischer, nationaler und internationaler Debatten: Hier fanden zahlreiche Camps statt, die dem Dialog zwischen Europa und Afrika, dem Kontakt mit sozialistischen Ländern, der Nahostfrage, Gender und sexueller Orientierung gewidmet waren. Heute setzt das Zentrum diesen Weg fort, indem es auch verschiedene Camps und Schulungen für Jugendliche anbietet. Menschen aus aller Welt kommen hier zusammen, um „Agape“ zu erleben und etwas davon wieder mit nach Hause zu nehmen.

Sechs Wochen durfte ich an diesem besonderen Ort verbringen und etwas von der besonderen Atmosphäre dieses Ortes erleben.

„Agape“ – das ist ein griechisches Wort und es bedeutet „Liebe“ – nicht die erotische Liebe zwischen zwei Menschen, auch nicht die freundschaftliche Liebe, sondern die Liebe zum Nächsten.

Dieses Wort ist auch das zentrale Wort in der Jahreslosung für das kommende Jahr: „Alles, was ihr tut, das lasst in der Liebe (Agape) geschehen.“ (1. Korinther 16,14)

Das ist zugegeben ein sehr hoher Anspruch, aber wir können uns doch bemühen, in unserem Alltag, in kleinen Situationen, ein Stück davon zu verwirklichen. Die Advents- und Weihnachtstage sind dafür eine besonders geeignete Zeit, aber wie wunderbar wäre es, wenn Agape auch darüber hinaus, das ganze Jahr, Teil unseres Lebens wäre!

Thomas Böhmert